Stadt, Land, Flucht

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Beweggründe Während in Deutschland vor allem Gründe wie Ausbildung und Studium, Arbeitsmöglichkeiten und kulturelles Angebot Menschen zur „Provinzflucht“ in das pulsierende Leben deutscher Städte bewegen, flieht anderswo auf der Welt die Landbevölkerung vor Krieg, Armut oder Umweltzerstörung. Wir sehen an Megastädten, dass bei besonders starkem Bevölkerungszuwachs Armenviertel und Slums entstehen können, die keinen menschenwürdigen Lebensraum bieten. Viele Menschen leben dort ungeschützt auf den Straßen, darunter auch zahlreiche Kinder. Ist ein solches Szenario auch in Deutschland denkbar? Angesichts des derzeitigen Wohnungsmangels und der jüngsten Krisen und Entwicklungen ist das vielleicht keine ganz so abwegige Vorstellung, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag.

Kritische Bestandsaufnahme

Dort, wo Wohnungen besonders knapp sind und anhaltend stark nachgefragt werden, steigen auch in Deutschland die Miet- und Kaufpreise seit Jahren derart an, dass viele Bewohner finanziell allmählich nicht mehr mithalten können. Und zwar nicht nur Menschen, die in Armut oder von Niedriglohn leben, sondern zunehmend auch Familien und Berufstätige mit normalem Einkommen, die aufgrund der Kostensteigerungen im Bereich des Wohnens allmählich in finanzielle Bedrängnis geraten. Eine vom Bündnis „Soziales Wohnen“ beauftragte Studie des Pestel Instituts und der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen kommt zu dem Ergebnis, dass in Deutschland derzeit mehr als 700.000 Wohnungen fehlen. Dies sei das größte Wohnungsdefizit seit mehr als 20 Jahren.

Mangel trifft auf Mangel

Vor allem im Bereich der bezahlbaren Wohnungen und im sozialen Wohnungsbau klafft eine eklatante Versorgungslücke, die durch das Wohnungsbauprogramm der Ampelregierung im ersten Jahr nicht annähernd geschlossen werden konnte. In 2022 wurden nur 20.000 Sozialwohnungen von angekündigten 100.000 fertig gestellt. Bis Ende 2025 sollen dann 400.000 neue Sozialwohnungen entstanden sein. Demgegenüber beziffert der Sozialverband VdK einen aktuellen Bedarf von 5 Millionen Sozialwohnungen. Und auch hier gilt: Tendenz steigend. Denn die Bevölkerung Deutschlands ist bedingt durch Zuwanderung am Ende des Jahres 2022 ebenfalls auf Rekordniveau angewachsen. Über 84 Millionen Menschen leben jetzt in Deutschland. Das sind 1,1 Millionen mehr als im Jahr zuvor. Darunter ist ein hoher Anteil an Geflüchteten, die nun ebenfalls möglichst günstigen Wohnraum benötigen.

Zwar haben sich die Bedingungen für den zügigen Wohnungsneubau nach den Plänen der Bundesregierung insbesondere durch die Corona-Pandemie und den Ukraine-Krieg weiter verschlechtert, dennoch ist die Tatsache, dass in Deutschland vorwiegend bezahlbarer Wohnraum und Sozialwohnungen fehlen, längst bekannt. Die Zahl der verfügbaren Sozialwohnungen auf dem Wohnungsmarkt ist schon seit Jahrzehnten rückläufig. Ein Teil dieser Wohnungen ist regulär durch Fristablauf aus der Mietpreisbindung gefallen, andere wiederum wurden in der Niedrigzinsphase durch billig verfügbare Kredite vorzeitig abgelöst, um höhere Mieten erzielen zu können. Wie das Bündnis in seiner Studie nachweist, existieren bundesweit nur noch 1,1 Millionen Sozialwohnungen. Dagegen habe es Ende der 1980er Jahre allein im Westen Deutschlands noch rund vier Millionen Sozialwohnungen gegeben. Während im Jahr 1987 auf 100 Mieterhaushalte 25 Sozialwohnungen kamen, sind es heute nur noch fünf.

Soziale Folgekosten

Damit ist heute die Wahrscheinlichkeit, aufgrund von Armut in die Obdachlosigkeit zu geraten, auch in Deutschland um ein Vielfaches höher geworden. Soziale Abstiegsängste, psychische Unsicherheit und negativer Stress nehmen zu, da es beim Wohnen schließlich um nichts weniger als um elementare menschliche Grundbedürfnisse und die eigene Existenzabsicherung geht. Die Lebensqualität von Menschen in prekären Lebens- und Einkommensverhältnissen verschlechtert sich. Auf gesellschaftlicher Ebene können steigende Wohnkosten und der Mangel an bezahlbarem Wohnraum dazu beitragen, dass soziale Spannungen und Konflikte zunehmen, da die Ungleichheit zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen wächst. Auf diese Weise gefährdet der bestehende Wohnungsmangel auch den sozialen Frieden in Deutschland.+

Die Lage scheint paradox. Denn trotz eklatantem und hinreichend bekannten Wohnungsmangel, staatlichen Förderprogrammen und Wissen um die sozialen Folgen, kommt der Wohnungsbau in Deutschland nur schwer voran.
So gibt es insgesamt wenig verfügbare Flächen und Baugenehmigungen werden nicht schnell genug erteilt. Es existieren sehr viele Bauvorschriften, die auch manchen innovativen Lösungsansatz von Vornherein scheitern lassen.
Inzwischen sind Baumaterialien knapp geworden und werden deshalb immer teurer, Lieferengpässe verzögern den Baufortschritt und verteuern damit ebenfalls das gesamte Bauvorhaben. Durch die Anhebung des Leitzinses wiederum verteuern sich die Kredite, so dass das Bauen immer kostenintensiver wird. Und auch in der Baubranche fehlen in Deutschland an verschiedenen Stellen Fachkräfte. Auch sie ist kaum digitalisiert, was für ein schnelles Bauen zusätzlich hinderlich ist.

Wie also können unter diesen schwierigen Bedingungen zügig mehr bezahlbare Wohnungen im Stadtraum entstehen?

Mehr ist nicht genug

Beim Blick auf die Zahlen und Fakten, die Ursachen und Folgen des Wohnungsmangels in Deutschland wird deutlich, wie vielschichtig das Problem ist.
Nachhaltige Lösungsstrategien können sich von daher nicht rein quantitativ auf Planzahlen und Quoten beschränken.
Politik, Baubranche und Stadtplanung sind vielmehr angehalten, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und adaptive Strategien und Konzepte zu entwickeln und mit Nachdruck zu fördern, die dem kontinuierlichen Wachstum der Stadtbevölkerung Rechnung tragen.
Selbst die deutsche Bevölkerung wächst auch nicht nur quantitativ, sondern verändert gleichzeitig ihre Struktur. So wird die Bevölkerungsgruppe der Senioren immer größer.
Und Wohn- und Lebensbedürfnisse verändern sich im Zuge der eigenen fortschreitenden Lebenszeit. Andere Aspekte gehen ebenfalls mit der Zeit, denn Städte sind zugleich Orte, in denen sich neue Lebensstile und Wohnformen besonders schnell entwickeln.
Gefragt sind also zunehmend Wohnungs- und Quartierskonzepte, die diese Verschiebungen mitdenken und sich an die veränderten Bedingungen anpassen.

Anders Bauen und anders Wohnen

Beim Wohnungsbau ist eine umsichtiges bauliches Verdichten des Stadtraums einem expansiven Flächenverbrauch aus ökologischen und ökonomischen Gründen definitiv vorzuziehen.
Das passt wiederum sehr gut zum städtischen Wohnungsbedarf, denn gerade Stadtmenschen leben oftmals alleine oder zu zweit. Es werden viele kleinere Wohnungen gebraucht, die sich auf wenig Raum und verschiedene Weisen baulich in die bestehende Stadt integrieren lassen.
Das funktioniert sehr gut mit Konzepten, die sich auf das Nachverdichten im Bestand, d. h. auf Auf- und Ausbauten auf bestehenden Gebäuden oder auf das Auffinden von Baubrachen ausrichten, z. B. beim modularen und beim vertikalen Wohnungsbau, bei der Baulückenschließung, im Bereich von Umbau und Umnutzung von leerstehenden Gebäuden und bei Wohnformen wie den „Tiny Houses“, die auch mobil entwickelt werden können.
Laut einer Studie der TU Darmstadt können alleine auf dem Weg der Nachverdichtung im Bestand etwa 1,1, bis 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen. In den Niederlanden war eine Initiative der Regierung erfolgreich, die gezielt die private Bebauung von Baulücken gefördert hat.

Auch im Bereich des gemeinschaftlichen Wohnens hat sich inzwischen einiges getan.
Das Modell „Mehrgenerationenhaus“, in dem Menschen unterschiedlicher Generationen und Lebenssituationen gemeinsam unter einem Dach leben und sich die Gemeinschaftsräume teilen, ist bereits in einigen Städten realisiert worden.
Menschen finden also neue und passende Formen des Zusammenlebens und des sozialen Miteinanders. Eine gezielte Förderung dieser und anderer alternativer Wohnformen und ihrer zumeist gemeinnützigen Träger kann wirksam dazu beitragen, dass der Wohnungsmangel und seine sozialen Folgen gemildert werden.

Stadt als Lebensraum

Städte sind Orte der Begegnung und Vielfalt. Lebensqualität und Innovation gedeihen vor allem dort, wo Räume dafür vorhanden und günstig zu bekommen sind.
Es sind Arbeitende aus verschiedenen Ländern, Kunstschaffende, Kreative, Studierende und Alteingesessene, die diese Stadtviertel traditionell bevölkern und ihren besonderen Charme prägen, bevor sie auch für Investoren und eine zahlungskräftige Klientel attraktiv werden.
Ziehen die Preise zu sehr an, sehen sich viele der ursprünglichen Bewohner im Zuge dieser Gentrifizierung gezwungen, weg zu ziehen und auf günstigere Wohngebiete auszuweichen.
Auch das kann belastend sein, wenn man sich über Jahre in seiner Umgebung sozial gut eingelebt hat.
Steigende Wohnkosten können zudem dazu führen, dass Familien gezwungen sind, in zu kleinen Wohnungen zu wohnen oder weiter weg von ihrem Arbeitsplatz zu leben.
Auf diese Weise verändert der Wohnungsmangel auch das bestehende Sozialgefüge, die Gesichter und die Stimmung einer Stadt.

Die Verteuerung der Wohnkosten drängt die Menschen also auch räumlich an die Ränder der Städte oder sogar noch weiter weg.
Verlassen viele qualifizierte Arbeitskräfte aufgrund des Wohnungsmangels die Stadt oder ziehen sie gar nicht erst zu, weil sie keinen adäquate Wohnung finden können oder die Wohnkosten zu hoch sind, ergeben sich daraus mögliche Folgeprobleme für Umwelt und Wirtschaft.
Unternehmen müssen womöglich ihren Standort verlegen oder Arbeitnehmer müssen von weiter weg pendeln, was zu erhöhtem Verkehrsaufkommen und weiterer Umweltbelastung führt. Das kann nicht die gewünschte Entwicklungsrichtung im Umgang mit dem Wohnungsmangel sein.

Lösungsansätze für den Wohnungsmangel

Wie wir Ihnen in unserem Artikel hoffentlich anschaulich darlegen konnten, gibt es keinen einfachen Königsweg, um den Wohnungsmangel in Deutschland wirksam zu bekämpfen.
Vielmehr handelt es sich um verschiedene Ansatzpunkte, die jeweils für sich und doch gemeinsam zu einer Verbesserung der Wohnungslage in Deutschland führen.
Wir lassen dieses Wissen in unsere eigenen Projekte einfließen. Mit dem Lessing-Quartier in Bamberg haben wir zum Beispiel Platz und Aufenthaltsqualität für Menschen verschiedener Generationen und Möglichkeiten zur Begegnung geschaffen.
Es beherbergt ein Hotel, bietet Servicewohnen für Senioren und Platz für Unternehmen und eine Hochschule, so dass sich alt und jung, Einwohner und Reisende, Arbeitende und Ruheständler treffen können. Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen, die sich bestimmt einiges zu erzählen habe

Damit das Wohnen in Deutschland für möglichst viele Bevölkerungsgruppen bezahlbar bleibt, ist es unabdingbar, dass die entscheidenden Akteure zielgerichtet zusammenarbeiten.
Doch um den Bau von Sozialwohnungen wieder anzukurbeln, braucht es auch eine finanziell realistisch ausgestattete Förderungsstrategie. Dass hier von staatlicher Seite aus noch Nachbesserungsbedarf besteht, ist ein weiteres Ergebnis der Studie des Bündnisses „Soziales Wohnen“.
Es schlug ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro vor, für das der Bund laut seiner Finanzierungsvereinbarung mit den Ländern 38,5 Milliarden Euro aufbringen müsse. Andernfalls drohe ein Kollaps auf dem sozialen Wohnungsmarkt.
Bislang will der Bund den Bau von Sozialwohnungen bis zum Jahr 2026 mit 14,5 Milliarden Euro fördern.
Angesichts der gegenwärtigen Kreditmarktentwicklung könnte sich eine staatliche Förderung mit Zinsvergünstigungen als auch Steuererleichterungen auch für private Investoren und Wohnungsbaugesellschaften wieder lohnen. Diese Kredite können an Förderungen für energetische Sanierungs- und Baustandards gekoppelt werden.
Mit besserer finanzieller Ausstattung könnten auch gemeinnützige Träger wie Wohnungsbaugenossenschaften stärker gefördert werden.
Daneben gilt es, Familien beim Bau und Erwerb von selbstgenutztem Eigentum staatlich zu unterstützen.

Abbau von Hürden

Initiativen für alternative Wohnkonzepte und im Bereich des Verdichtens profitieren nicht nur von Fördermitteln, sondern auch von sinnvollen Anpassungen von Bauvorschriften.
Eine Senkung der Baukosten wird durch die Vereinfachung von Bauvorschriften und Beschleunigung von Genehmigungsverfahren erreicht. Neue Wohnungen können so schneller gebaut und bezogen werden. In Singapur beispielsweise hat die effiziente Verwaltung und Koordination von Bauprojekten dazu beigetragen, in kurzer Zeit eine große Anzahl von Wohnungen zu errichten.

Sie sehen also, es gibt viele Möglichkeiten, den Wohnungsmangel in Deutschland erfolgreich zu beseitigen. Packen wir es an.